[Trademark Tartarov]

Antonei Sergejvitch Tartarov alias Jean-Jacques Hauser

DIE GESCHICHTE DES GROSSEN UNBEKANNTEN
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Alles zum Konzert

Für den Inhalt verantwortlich: Hannes Keller

Was das Publikum vor dem Konzert zu wissen glaubte

Das Publikum erwartete das einzige Konzert im Leben des grössten und scheuesten Wunderpianisten, des stummen Russen Antonei Sergejvitch Tartarov.
Das Publikum erwartete die Welturaufführung der 33sten, beinahe vollendeten Klaviersonate von Beethoven und weitere sensationelle Neuentdeckungen aus demselben alten Koffer des Sohnes einer Geliebten von Franz Liszt.

Was das Publikum nach dem Konzert wusste

Der 36-jährige Schweizer Pianist Jean-Jacques Hauser aus Haslen bei Glarus hatte vor allem selbstgemachte Werke im Stil grosser Komponisten. Zudem demonstrierte er seine Riesenbegabung, ad hoc zu einigen vom Publikum vorgegebenen Themen im Stile grosser Komponisten zu improvisieren.

Die Qualität seiner Improvisation reichte aus, dass das Publikum Originalkompositionen zu hören glaubte.

Der Schweizer Mathematiker, Weltrekordtaucher, Amateurpianist und Erfinder Hannes Keller hatte sich die Märchen des Tartarov und Liszts Geliebter ausgedacht. Er finanzierte und inszenierte das Konzert und machte aus J.J. Hauser in nur 10 Tagen einen heissbegehrten Star.

Kommentare zu den Originalwerken

Die folgenden Kommentare -sei es zu den Originalwerken, sei es zu den Kompositionen von Jean-Jacques Hauser - sind aus dem Programmheft des Konzertes ausgezogen worden.

Alexandr Skrjabin: Sonate Op. 30

Bei dieser Musik vom Kompositorischen zu reden, würde heissen, am Wesentlichen vorbeizugehen. Skrjabins Musik kann man genau als "Magischen Realismus" bezeichnen, sie steht in einer tiefen Seelenverwandtschaft zur Malerei Odilon Redons. Der romantische Dichter Novalis hatte angedeutet, dass die Kunst in der wirklichen Zauberei münden kann. Bei Chopin wird in einigen Werken plötzlich der kalte Hauch von etwas Jenseitigem "hinter der Musik" und "hinter allem" spürbar. Die Pracht, die Schönheit, die Farbe erreicht einen Punkt, wo sie über das "Menschenmögliche" hinausgeht. (Einige Préludes, das 1. und 4. Scherzo, die Berceuse, der 4. Satz der B-Moll-Sonate). Dieses Jenseitige ist jedoch nicht paradiesisch, sondern unheimlich, beängstigend. Skrjabins Musik meint dieses Jenseitige. Ihre Steigerungen, ihre unsagbare Schönheit zielen weit über die Musik hinaus. Trotzdem (möglicherweise deswegen) ist diese Musik mit messerscharfem Verstand strukturiert, einem Verstand allerdings, der, gerade weil er so weit geht, seine Grenzen kennt und sich letztlich vom Unbewussten leiten lässt. Skrjabin musste ein Einzelgänger sein, seine Musik ist nicht von historischer Konsequenz, sie ist gross in sich selbst und sie spricht nur zum Einzelnen.
Die vierte Sonate ist der Höhenpunkt der abgerundeten musikalischen Werke Skrjabins. Er stand hier noch an der Schwelle von dem, was Muschg in der "Tragischen Literaturgeschichte" als das tragische Zerbrechen des Künstlers vor dem Göttlichen beschreibt.

Béla Bartok: Zwei rumänische Tänze Opus 8a

Die beiden 1909/10 komponierten Stücke lehnen sich nicht an existierende Volkslieder an, sondern sind nach eigenen Themen geschrieben. Das rhythmische Element ist sehr stark und das Klavier wird oft geradezu als Schlagzeug behandelt. Die zwei Tänze sind als Konzertstücke gedacht, sie wurden 1910 von Bartok selbst in Paris uraufgeführt. Die Thematik ist in beiden Tänzen von lapidarer Einfachheit. Das Gewicht der Komposition liegt nicht auf der Variation und Abwandlung der Themen selbst, sondern in der immer neuen (pianistischen) Präsentation (obwohl Bartok diese Möglichkeit in keiner Weise auch nur entfernt so benützt wie Ravel im Bolero). Im ersten Tanz wird alles beherrscht von einem eintaktigen Motiv und dessen Umkehrung sowie ganz kurz einer Abwandlung. Die Thematik des zweiten Tanzes ist wesentlich grösser angelegt, ist jedoch immer noch sehr knapp. Zwischen Skrjabin und Ravel gestellt, erhält diese fast monochrome, nur mit einigen plötzlichen Glanzlichtern versehene Musik einen wohltuenden Reiz.

Maurice Ravel: Scarbo aus "Gaspard de 1a nuit"

Nach einem Gedicht von Aloysius Bertrand

Il regarda sous le lit, dans la cheminée,
dans le bahut; - personne. Il ne put
pas comprendre par où il s'était introduit,
par où il s'était évadé.
Hoffmann. - Contes nocturnes

Oh! que de fois je l'ai entendu et vu, Scarbo, lorsqu'à minuit la lune brille dans le ciel comme un écu d'argent sur une bannière d'azur semée d'arbeilles d'or!

Que de fois j'ai entendu bourdonner son rire dans l'ombre de mon alcôve, et grincer son ongle sur la soie des courtines de mon lit!

Que de fois je l'ai vu descendre du plancher pirouetter sur un pied et rouler par la chambre comme le fuseau tombé de la quenouille d'une sorcière!

Le croyais-je alors évanoui? le nain grandissait entre la lune et moi comme le clocher d'une cathèdrale gothique, un grelot d'or en branle à son bonnet pointu!

Mais bientôt son corps bleuissait, diaphane comme la cire d'une bougie, son visage blémissait comme la cire d'un lumignon, - et soudain il s'éteignait.

Nichts ist äusserlich ähnlicher und dabei innerlich gegensätzlicher zu Skrjabin als die Musik Ravels. Hier ist alles in den Tönen. Diese Musik zielt nicht auf Jenseitiges hin, der im "Scarbo" geschilderte Zwerg ist nur eine Einbildung, wie man sie nachts beim Einschlafen haben kann;
Ja sie schildert nicht einmal genau diese Einbildung; diese Klangwelt huschender Formen könnte dies oder das sein, zum Beispiel ein tanzender Zwerg. Dies ist zutiefst das Wesen des Impressionismus, genau entsprechend könnten die Farbwirbel Monets Seerosen sein. Jankélévitch schreibt: "... dieser blitzschnelle Scarbo, dieser elektrische Zwerg mit seiner goldenen Schelle und seinem boshaften Lachen, behende wie ein Akrobat und unempfindlich wie ein Halbgott. Auf den Flügeln des Winters galoppiert er umher zwischen phantastischen Glissandi und stählernen Strahlen ...". "Ein planmässig angelegter Wirbelsturm" wurde dieses rasend virtuose Werk genannt. Die Impressionen rufen neue Impressionen.

Kommentare zu den Kompositionen von Jean-Jacques Hauser

Diese Kommentare - von Raymond Littmann (Pseud. von André Manz) - sind teilweise ernst gemeint und teilweise ironisch. Teilweise spotten sie über Exzesse der Musikszene insbesondere der Kritiker.

Sergej Prokofiev: Zweite Toccata

Diese zweite Toccata wurde 1919 in Amerika geschrieben, ungefähr zusammen mit dem sehr einfachen C-Dur Prélude, das dann mit neun früheren Stücken als Opus 12 veröffentlicht wurde. Ganz im Gegensatz zum Prélude ist diese zweite Toccata ein verrücktes spieltechnisches Experiment. Schon die sieben Jahre vorher entstandene 1. Toccata Opus 11 bedeutete eine pianistische Revolution. In der 2. Toccata nun zeichnete Prokoviev die Vision einer futuristischen Klaviertechnik. Es gibt darin einige derart furiose Stellen, dass Prokoviev selbst das Werk nicht als Ganzes spielen konnte. Da gibt es eine Arpeggienkette, bei der jeweils jeder Finger zwei Tasten drückt (vereinfacht erscheint dies als Duolenläufe im 3. Satz des 3. Klavierkonzerts), Terzenläufe in beiden Händen mit zusätzlicher Ober- und Unterstimme, ein Geflecht von rasenden Sprüngen beider Hände, dabei polyrhythmisch und was dergleichen Kostbarkeiten mehr sind.
Tartarov schreibt: "Je dois dire que je n'ai jamais vu des difficultées pareilles dans un autre oeuvre, c'est un véritable cauchemar pianistique. Pour me libérer de ce cauchemar, évidemment, je devais le travailler. J'ai choisi la méthode de commencer d'abord à établir un plan précis de tous les mouvements du corps, puis les épaules, puis les bras et les poignets et seulement au but: les doigts. J'ai appris tout ça sans toucher le calvier. Seulement après que j'ai appris tous les mouvements, je commençais à jouer. De nouveau j'ai commencé à travailler très lentement et pratiquement toujours avec les yeux fermés. Mais je dois admettre que je ne crois pas de devenir absolument sur en jouant cette Toccata, il me reste toujours un certain risque de tomber en panne. Mais c'est déjà quelque chose de ne pas finir avec des noeuds dans les doigts."

Wolfgang Amadeus Mozart: Rondo über ein Schweizer Volkslied

Das vermutlich 1783 in Linz komponierte Rondo strahlt echt Mozartsche Frische, musikalische Intelligenz und unbekümmerte Spielfreude aus. Die Rondoform (abwechslungsweise Refrains und Couplets) ist an sich nicht konsequent angewendet, aber Mozart war eben kein Purist, dem nun jede musikalische Form in ein alleinseeligmachendes Schema passen musste. In diesem Werklein sind Form und Ausdruck dem Gehalt und Charakter des Sujets, einem - sagen wir es ruhig - Gassenhauer, adäquat. Dem Thema und seiner kurzen Fortspinnung folgt das erste Couplet, das man aber eher als Durchführung im Sinne der klassischen Sonatenform bezeichnen müsste, dreht sich doch alles um das Hauptthema, das hier mit zwei Modulationen verknüpft wird und von A-Dur in Cis-Moll landet, das den Rest des von einem durchlaufenden Sechzehntelpuls geprägten Teils beherrscht. Nach Wiederholung des Themas - jetzt eben als Refrain - bringt ein Trio in A-Moll eine dramatische Entwicklung. Das Hauptthema erscheint nach Moll abgewandelt, dann dominiert ein Nebenthema, das im ersten Couplet kurz exponiert wurde. Es zielt auf die Kadenz hin, welche mit Eintritt der ausgiebigen Coda erreicht wird.

Ludwig van Beethoven: Unvollendete Sonate

Der Gedanke allein ist schon verwegen, dass da nämlich noch ein grösseres Klavierwerk existiert, worin Beethoven Inhalte und Formen ausdrückt, die über den Rahmen der 32 bekannten Sonaten hinausgehen. Die völlig überraschend neuentdeckte As-Dur Sonate ist den Indizien nach 1825 bis 1827 entstanden, sicherlich hat Beethoven aber schon vorher daran gearbeitet. Das Werk ist mit seinen zwei Sätzen eigentlich unvollendet, jedoch in seiner inneren und formalen Abgerundetheit und der fast intim religiösen Aussage schlechthin bezwingend. Lapidare Melodik und akkordische Motivik kontrastieren beinahe schockierend. Ansätze dafür finden sich in der Arietta aus Op. 111 und den Bagatellen Op. 126. Wie in der Fuge der Hammerklaviersonate und in den Diabellivariationen sind die pianistischen Probleme der Trillerketten, Sprünge und Akkordbrechungen enorm. Die lebendige Gestik dieser Musik hat bei aller technischen Faszination ihren eigentlichen Schwerpunkt im Lyrischen. Beinahe Schubertisch sind die unendlich weichen enharmonischen Umdeutungen, jene Art melodischen Träumens, die man das eine Mal trostspendend, das andere Mal herzbrechend empfindet. Dies trifft schon zu für das Hauptthema im Zwölfachtel-Takt, das bald verdrängt wird von gebrochenen Akkordketten von explosiver Wirkung, die dann überleiten zum Seitenthema. Die Ruhe und Wärme des Kopfthemas, eine den As-Dur Dreiklang durchschreitenden, auf den Dominant-Quartvorhalt hinzielende Brechung, ist nahezu überirdisch. Demgegenüber ist das zweite Thema erdverwandter, entwickelt aus dem Dreiklangmotiv, jedoch harmonisch um einen Halbton tiefer als beim Kopfthema. Diese Halbtonverrückungen sind ein Merkmal von Beethovens Spätstil. (Vgl. dazu Op. 106 Scherzo T. 171 oder Op. 109, 1. Satz T. 12/12 u.a.m., besonders deutlich auch in Op. 111, 1. Satz T. 69-75.) Die Gegensätzlichkeit der beiden Themenwelten als schliesslich inhaltzeugendes Spannungsverhältnis der Exposition ist hier in transzendente Dimensionen gehoben. Findet sie sich in den letzten Streichquartetten als dichtes kontrapunktisches Gewebe, ist sie hier auf äusserste Simplizität destilliert. Die Sprache des Satzes wechselt, sie wird harmonisch oft merkwürdig grossflächig und aus dem gemächlichen Allegro moderato wird ein energiegeladenes Allegro molto, Devise einer diesseitigen Problematik. Der Mensch verstrickt sich in die faustischen Kämpfe des irdischen Lebens. Musikalisch charakterisiert ist die kosmische Sphäre von ruhigen Dreiklangsbrechungen, die andere von erregten Sekundschritten. Wir können hier natürlich nicht ausführlicher sein, es ist aber sicher einleuchtend, dass die ganze Durchführung eine grosse Auseinandersetzung der beiden Welten ist, die ihr Ende, über die Reprise und Coda hinaus, erst im zweiten Satz findet, wo die menschlichen Kämpfe und Ängste in der Transzendenz sublimiert werden.
Im Mai 1826 schrieb Beethoven an einen Freund (Zmeskall): "... habe, Dir, lieber Nikolaus schon früher einmal angedeutet, dass ich seit Monaten ein neues Werk in mir herumtrage ... das ich hüte wie der Adler seine jungen ... ja, so ängstlich ist mir zu Mute, wenn ich dran denke, dass einmal der ganze Pöbel diese Melodie pfeift ..."
Der zweite Satz ist ein Thema mit Variationen. Das Thema war leider unter den Manuskripten nicht zu finden, es ist jedoch am Ende des Variationenzyklus' noch skizziert, gehört aber zweifellos an den Satzanfang.

Franz Liszt: Grosse Phantasie "Les Préludes"

Liszts Vorstudie zur sinfonischen Dichtung kann wohl dem Vergleich zum Orchesterwerk nicht standhalten. Er selbst hat das Werk als Studie eingestuft. Sie datiert aus 1847, als Liszt sich vom Klavier mehr der sinfonischen Arbeit zuwandte. In der musikalischen Gestik ist das Werk in der Nähe des Es-Dur Klavierkonzerts, der 2. Polonaise und der Sonate (1852).
Das Werk ist als grossangelegte Improvisation über die Themen der Orchesterfassung in sich geschlossen, wobei das herrliche «Liebesmotiv» in H-Dur dominiert. Bemerkenswert ist, dass jenes eindrückliche fanfarenartige Zwölfachtelthema der Blechbläser fehlt, da die Klangfarbe dieser Instrumente untrennlich zum Motiv gehört. Verschiedene Partien entspringen schon in der Klavierfassung einer orchestralen Vorstellung (ein anderes Beispiel ist die zweite Franziskuslegende).
Das Werk beginnt urromantisch mit weitausholenden Akkordbrechungen in der linken Hand. Das an das Petrarca-Sonett Nr. 47 gemahnende Motiv der Rechten mündet in fanfarenartige Akkordgebilde, untermalt von rauschenden Passagen. Die Erregung ist jedoch bald gebannt und es kommt zur grossen, orgelpunktartigen Einführung des "Kampfthemas". Wie ein Sonnenaufgang erstrahlt nun das "Liebesthema", allerdings noch nicht in der vollständig ausgewogenen Form der Orchesterfassung. Dieses Thema wird nun durchgeführt, variiert und verfremdet und mit andern Themen kombiniert. Pianistisch ist das Werk überbordend und an der Grenze des Ausführbaren. Obwohl musikalisch nicht vollendet, ist es ein erstklassiger und hinreissender Genuss, wenn ein ganz grosser Pianist dieses technisch fast unzugängliche und rare Werk zur stolzen und strahlenden Wirkung bringt.

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