[Trademark Tartarov]

Antonei Sergejvitch Tartarov alias Jean-Jacques Hauser

DIE GESCHICHTE DES GROSSEN UNBEKANNTEN
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Alles zum Konzert

Ein Star aus der Retorte in nur 10 Tagen

Das Hauptproblem: Das Tartarovkonzert konnte man nur einmal starten. Nachher war es für Jahrzehnte nicht wiederholbar. Es musste geheim bleiben, Es gab knapp zwanzig Mitwisser, angefangen mit Zürichs Stadtpräsident und dem Chef der Fremdenpolizei, 3 Leuten beim Fernsehen usw.

Ich entschloss mich, die ganze PR-Kampagne innert 10 Tagen vor dem Konzert durchzuführen. In dieser Zeit musste ich den nichtexistierenden Antonei Tartarvov zum grössten Pianisten der Welt hochjubeln, 2000 Leute in sein - klassisches - Konzert locken und die 33. Beethovensonate glaubwürdig machen.

Ich machte ein aufwendiges Programmheft mit den zwei Märchen (siehe die vorherigen zwei Kapitel) und vielen Fotos. Meine Familie holte 3000 Adressen aus den Telefonbüchern und jede bekam ein Heft.

Das Fernsehen machte eine Konzertvorschau und es geschah etwas ganz Unglaubliches. Der Organist André Manz spielte vor der Kamera einen französischen Literaturprofessor als Freund von Tartarov. Als André nach Hause kam, berichtete ihm seine liebliche Mutter von einer interessanten Sendung mit einem sachkundigen Professor, den er leider verpasst habe. Frau Manz hatte ihren Sohn nicht erkannt. Er durfte ihr erst eine Woche später offenbaren, wo er an jenem Abend wirklich gewesen war.

Stratageme und Strategien

Bei den Märchen drei Nummern gröber und dreister stricken als man gerade noch für glaubwürdig hält.

Wenn man mit dem Kopf durch die Wand rennen will - viel Anlauf nehmen und auf dem Weg nicht bremsen.

Zuallererst Glaubwürdigkeit produzieren. Dazu dient das Konterkarieren. Das Publikum hart führen! Das Unerwartete tun. Das Erwartete verweigern.

Man erwartete einen russischen Bären ... es erschien hingegen eine elegante, schlanke Figur, die mit elastischem, gepflegtem Gang zum Flügel eilte.

Schwarzglänzend die Beatmähne, sowie Schnauz und Bart. Der dunkelgraue Frack - eine richtige Création - durch rotes Samtgilet und breite Bündelkravatte aufgelockert. Schneeweiss das Rüschenhemd, die Manchetten, sowie ... die Handschuhe.

Sehr konzentrierter Ausdruck, gar kein Lächeln und eine einzige feierlich-russische Verbeugung.

Statt mit Löwenpranken loszudonnern legte er sanft die Handschuhe auf den Flügel, liebkoste die Tastatur und begann pianissimo Skrjabins Sonate in der exotischsten aller Tonarten nämlich Fis-Dur. Das Publikum traute sich kaum mehr zu atmen. Dann steigerte sich die Dynamik um sich nach einer knappen Stunde in den Hammerschlägen der sogenannten Prokofieff-Tokkata masslos auszutoben.

Der Name Antonei Sergejvitch Tartarov war ein entscheidender Erfolgsfaktor. Ich kompilierte ihn über Wochen hinweg als Harmonie von extrem maskulinen und femininen, bzw. mütterlichen Elementen. Wie sanft eine Mutter "Antonei" sagen würde.

Der Name allein schon erweckt so viel Erwartungen wie Wagners Siegfried.

Ein Held musste er sein, unser Tartarov, in einer feindlich gesinnten Welt erprobt.
Fast alle Leute fürchten sich davor, dass die Welt ihnen möglicherweise feindlich gesinnt sein könnte. Sie brauchen dann Gott- oder Weltvertrauen und dazu gehen sie ins Kino, lesen Bücher usw.

Die Leute zum Träumen bringen. Wichtig ist nicht das was geschieht und was man sagt, sondern das was sich die Leute dazu denken und wie sie dies weiterspinnen.

Die Matrosen müssen wissen, dass der Kapitän nicht schwimmen kann.

Die Matrosen müssen wissen wie viel zu weit der Kapitän notfalls zu gehen bereit ist.

Bei einer solchen Veranstaltung müssen die Eintrittspreise betont niedrig sein.

Die Veranstalter dürfen kein Geld verdienen.
In diesem Fall gingen die gesamten Einnahmen an UNICEF.
Der Veranstalter H.K. hat alle Ausgaben selber bezahlt.
Tartarov trug seine Kosten und erhielt kein Honorar.

Das Publikum wurde vor dem Ende der Veranstaltung korrekt informiert (Ansprache an das Publikum von Hannes Keller). Das Publikum hatte die Möglichkeit, den Beifall zu verweigern und mit aller Vehemenz zu protestieren. Das Publikum hatte das Recht, das Eintrittsgeld und den persönlichen Aufwand ohne Begründung zurückzufordern.

Altersweisheiten vom Tiefseetaucher

Das gesteckte Ziel war unerreichbar. Der Beweis, dass ein Konzertpublikum genial improvisierte Werke à la Beethoven genauso geniesst wie echten Beethoven genügt nicht. Das Vorurteil, dass so etwas nicht Kunst sein darf und deshalb niemals Kunst ist, konnte ich nicht ausräumen.

Das Geniessen von Repros insbesondere am Bildschirm gilt als minderwertig, ja gar als verwerflich.

Ich denke, dass die Besessenheit für "Originale" mit Fetischismus zu tun hat.

Wehe, in einer Kirche stellt es sich heraus, dass der Jahrhunderte lang angebetete Fussknochen der Heiligen Eulalia in Wirklichkeit von einem unbekannten Mann, vielleicht gar einem ausländischen Kriminellen stammt. Alle Wunderheilungen wären Placebos usw.

Lüge ist böse, sie zerstört Weltvertrauen

In der Tartarov-Unternehmung musste ich 10 Tage lang lügen. Das ging mir nicht einfach so von der Seele. Es ist gegen meine Ethik, weil es das Misstrauen in der Welt vermehrt, man kann nicht einmal mehr einem Konzertprogramm trauen. Ich dachte, dass das Konzert den Leuten jedoch eine wichtige Lektion erteilt.

Ich war davon überzeugt, das Schlechte daran wieder gut machen zu können. Wichtig war mir:

  1. Kein Geld damit zu verdienen.
  2. Vor dem Ende des Konzertes Rechenschaft abzulegen und die Wahrheit zu sagen.
  3. Jedem der sich betrogen fühlte sein Geld zurückzugeben. Eine einzige Person meldete sich. Ich sagte der Dame, dass ich mich an meine juristische Verpflichtung halte, ihr das Billett sowie Fahrkosten und auch allenfalls ein Essen in der Stadt zu bezahlen und auf die Vorlage von Quittungen verzichte. Daraufhin sagte sie, dass sie mich wohl zu Unrecht für einen Schurken gehalten habe und auf die Entschädigung verzichte.
  4. Der Koran sagt sehr schön "Was zählt ist die Absicht des Herzens". Ich denke dass meine Absicht mit Tartarov gut war.
  5. Das Tartarov-Konzert darf nicht lehren: "Alles geht".

Man kann nicht generell sagen "der Zweck heiligt die Mittel". Man kann nur sagen "es gibt Situationen in denen der Zweck die Mittel heiligt". Die Philosophen sind sich einig: Menschen kommen ohne Lügen bzw. Täuschungen gegen sich und andere nicht durch den Alltag.

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